Georg von Oertzen                Im Abglanz von Ehedem

 

Heim in den Tag, der unterging, gewendet,

Aufblättern wir die Bücher unsres Lebens:

Sie sollen reden, reden nicht vergebens

Von Schritt und Tritt, die lange nun vollendet.

 

Dem manne Licht giebt, was den Jüngling blendet,

Zum Flügel wird urkräftigen Erhebens

Sein Herzeleid, und das noch wir verweben’s

Als goldnen Faden, was nur Zufall spendet.

 

So wird gelernt und so zum andern Male

Recht leben wir, mehr jetzt den Stoff bemeisternd.

Ein Blöder nennt dies Jugendideale

 

Und vegetiret, Staub mit Staub verkleisternd;

Doch uns erquickt es, daß die Vorzeit strahle

Als Kunstwerk in uns, sühnend und begeisternd.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Die Quelle der Kraft

 

Wem von der Lava blinder Leidenschaften

Verschüttet wurde die Erinnerung,

Wer nicht vermag mit festem Hammerschwung

Das Erz zu läutern, dran die Schlacken haften,

 

Der wurde alt. Zur Arbeit ihm erschlafften

So Herz, wie Hände. Keinem frischen Trunk

Am Born der Freude bringt er Huldigung

Und lebt von Grillen, mürrisch aufgerafften.

 

Langweilig und gelangweilt in den Sand

Vergeßnen Grabes rinnt der Strom des Lebens,

Dem tiefre Bahn gezeichnet Gottes Hand.

 

Allein ein warmes Herz giebt Kraft des Strebens,

Das voll und klar zum Ewigen gewandt,

Und nur wer jung bleibt, altert nicht vergebens.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Die Stunde bleibt

 

Hat jede Stunde doch ihr Morgendämmern,

Gesetz und Inhalt, Recht und Pflicht am Ganzen.

Nicht träumt von Horen, die voll Anmuth tanzen

Und sterben dann im Klang von Glockenhämmern!

 

Die lebte, lebt’ gespensterhaft den Schlemmern,

Dem Narrn ein Räthsel, Bleigewicht den Schranzen,

Doch frisch und voll für Alle, die da pflanzen,

Ein Weisheitsborn, der Greise tränkt gleich Lämmern.

 

Drum, kämpfend Herz, sei kein Windmühlenfechter:

Die Wirklichkeit bringt Gold und Gift entgegen,

Aus ihrem Schoß gewinne dir den Segen!

 

Wer dieses Menschenamtes nicht kann pflegen,

Der zeuget Nacht, nicht Einem Lichtverächter,

Nein, Schatten über spätere Geschlechter.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Nicht von Menschen

 

Von ungefähr auf tränendunklem Pfade

Ein Weihegruß dem Herzen wird gesendet,

Der still nach innen sein Verlangen wendet,

Zu lauschen solchem Hirtenruf der Gnade.

 

Wie seufzten wir nach einem frischen Bade

Im Lichte, das erquicket und nicht blendet

Wie horchten wir, wo guter Rath gespendet,

Und prüften, welcher heilsam sei, wer schade.

 

Doch Weisheit und Altweibertugend, beide,

So breit gegeben und so laut gepriesen,

Ach, hatten Nichts, das unsre Blöße kleide,

 

Da wir zum Kampf vor allem Volk gewiesen.

Am Pranger noch wir stünden jedem Neide,

Wenn Gott nicht sprach: Mein Frieden sei mit diesen!

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Novembersturm

 

Orcan, der wilde Harfner kommt gegangen

Um Mitternacht auf schneedurchweichten Pfaden,

Reißt fort das Thurmkreuz, bricht die Fensterladen,

Den Wettermantel hat er umgehangen

 

Zerfetzt und flatternd. Horch, die Saiten klangen:

Von Meergespenstern, die im Mondlicht baden,

Von Brand und Schiffbruch singt er die Balladen,

Den Schwanensang, drin tausend Herzen sprangen.

 

Aufkocht der Giesbach, und die Wildnis dröhnend

Ihm schleudert her die blitzgetroffnen Eichen;

Der Dämon flieht, mit Pfeifen sie verhöhnend.

 

Die Schlummernden, wenn er sie küßt, erbleichen.

Nur tiefem Elend dünkt sein Zorn versöhnend:

Es ruht in ihm und ahnet Seinesgleichen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                December

 

December kam. Ein müder Rabe kauert

In meinem Garten auf den Obstbaum nieder

Und duckt sich tief in’s struppige Gefieder,

Weil Schneegewölk den Himmel ihm vermauert.

 

Kein Sonnenstrahl! Die Seele fröstelnd schauert,

Stumm reckt der Wald die leblos kahlen Glieder,

Kein Säuseln in ihm, keine Finkenlieder,

Kein Quellgeschwätz, er zittert, starrt und trauert.

 

Und es wird Nacht, krystallklar, eisig, lange:

Und dann gleich Engeln schwebend zu en Hügeln

Mit klarem Antlitz, feierlichem Gange,

 

Und Purpur streund, aus rosenduftgen Flügeln

Hergeht der Christtag und durch Süd und Norden

Der Jubelruf: Heil, es ist Licht geworden!

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Gesegnet, nicht berühmt

 

Der Gegenwart zu leben heißt nicht: Schlürfen

In durstiger Gier den Reichthum unsres Heute,

Auch nicht erlaubt es, satt durch fremde Leute,

Zu ruhn, wenn diese Gold des Lebens schürfen.

 

Nein: Jetzt gewinnend, was wir jetzt bedürfen,

Doch nimmermehr, der eitlen Selbstsucht Beute,

Hinschielen, was der Nachwelt es bedeute,

So bauen wir in Thaten, in Entwürfen

 

Getreu und muthvoll mit am Bau der Zeiten.

Ob wir, gebückt im Schweiß des Angesichtes,

Nicht wachsen sehn den Tempel hoch in’s Blaue,

 

Nicht glühen ihn im Strahl des ewgen Lichtes:

Wir wissen, daß, genährt von jenem Thaue,

Des Menschen Kraft wird göttlichen Gewichtes.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Die Klage des Eremiten

 

Auf daß wir Frieden, endlich Frieden haben,

Wie manche Blüthe fällt vom Baum des Lebens,

Wie viele Meilen wandern wir vergebens,

Wie fruchtlos sä’n wir, wie viel wird begraben!

 

Das Herz wacht auf und will am Tag sich laben

Und spürt den Zug glückseligen Erhebens:

Ihm wehrt die Welot voll trägen Widerstrebens

Und höhnet und verschleudert seine Gaben.

 

Doch, such ein Mann gesammelt nun das Wahre

Und schaut empor mit stillem Angesichte,

Dann lärmen sie und rütteln am Altare,

 

Und selbst die Freunde sitzen zu Gerichte.

Nur Einsamkeit, Sternnacht und Todtenbahre,

Ihr bleichen Drei ihm Rug vergönnt im Lichte.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Das Schicksal der Nüchternen

 

Ein Pilger, der die Wahrheit finden wollte,

Kam zögernd, zweifelnd durch die Welt gegangen,

Und wo er ging, entfärbten sich die Wangen,

Und wo er sprach, ein Widerspruch ihm grollte.

 

Des Wesens Wesen tief sich öffnen sollte,

Sein Ohr war scharf: die Harmonien verklangen.

In’s Herz des Bruders kalt die Blicke drangen:

Und fremd und scheu es Bitterkeit ihm zollte.

 

Darum bald einsam, bald auf langer Reise

Durch fremdes Volk und Abenteurerzüge

Sucht endlich der von Durst verzehrte Weise

 

Nur einen Freund, der ihn zu Grabe trüge.

Und der ist Liebe. Sie enthüllt ihm leise

Die Wahrheit aus dem Raupenschooß der Lüge.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Warum?

 

Der Seele müdes Saitenspiel berühret

Ein ernstes Wort mit zitternd tiefem Klange

Geheimnisvoll, so oft im Lebensgange

Durch räthselhafte Wege sie geführet;

 

Dies Wort: Warum? das eitel Qualen schüret,

Wenn Gott Du fragst aus ungeduldgem Drange;

Doch wenn es gilt, daß Rechenschaft erlange

Dein eigen Herz, dann täglich dir’s gebühret.

 

Warum dies Heimweh aufwärts in die Freiheit?

Und jetzt warum doch unterthan dem Staube?

In Einem Wesen warum solche Zweiheit?

 

Hier wähnt ein Chaos blinder Zufallsglaube,

Uns aber giebt erst Kampf des Hoffens Nahrung

Und jeder Sieg die Friedensoffenbarung.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Sonnabend

 

Wenn Ihr vom Werk, das zögernd Ihr verlassen,

Im Dämmerglanze heim die Schritte lenket,

Der Arbeit gern und gern der Ruhe denket,

Dann wandelt Euch entgegen durch die Gassen

 

Manch müder Mann. Hell leuchten seine blassen

Gefurchten Züge, klar vom Licht getränket

Des Heimatsegens, welchen Gott ihm schenket,

Und Kinder nahn, den Vater zu umfassen.

 

Euch freut der Anblick, grüßend geht Ihr weiter.

Kurzsichtige, kann Euch das Herzblut stocken

Am Thor des Friedhofs, wenn ein braver Streiter

 

Zur Erde neigt die schweißgesalbten Locken?

Sonntag ist nahe, feiert Samstag heiter:

Er hört, Ihr ahnt die ewgen Morgenglocken.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Im Frieden

 

Zur Kirche gehn! Wenn diese Mahnung rufen

Mit Engelsmund des Frühgebetes Glocken,

Dann wecken sie mein Herz auf; Träume locken

Es in der Heimath, an des Friedhofs Stufen.

 

Dort saß ich einst: Die Orgelklänge schufen

Dem Knaben Ehrfurcht, seine Pulse stocken,

Sein Blick gebannt ist, und er bebt erschrocken,

Als, aufgestört von nahen Rosseshufen,

 

Ein Reiter um den Weg ihn angesprochen.

Das Kind giebt Antwort: „Wir sind hier zu Hause.“

O Unschuldslippen! Nun die Fibern pochen

 

Mir selbst vor Qual: Wohin im Sturmgebrause?

Dem Manne sagt Ihr, dessen Kraft gebrochen:

Geduld! Du bist in Gottes Ruh zu Hause.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Gewiegt von Ruhe

 

Ausrollt das Meer des Tages. Schöner Hafen

Der sterndurchblühten Mittnacht, du umspülest

Mit weicher Fluth mein Lebensschiff und kühlest

Das Haupt des Schiffers. Die Matrosen schlafen,

 

Die buntgestellt an Bord zusammentrafen:

Du Lebensdrang, der frisch im Kampf dich fühlest,

Du, welcher Bahn durch Eis dir trotzig wühlest,

mein Argonaut nach stolzen Epitaphen

 

Und stillem Glück, Gesang! Im Vorwärtseilen

Dir Kränze brichst du und die Andern schelten

Dich darum Zaubrer, aber sie verweilen

 

Gern an der Küste deiner Märchenwelten.

Jetzt Alle ruhet. Morgen sollt Ihr theilen

Die Arbeit Euch und jeglicher soll gelten.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Phantasie, nicht Phantasterei

 

In festem Boden wurzelt tief das Leben,

Drin sichtbar wir des Leibes Pracht entfalten;

Geboren werden, Wachsen und Erkalten

Von Erde kommt’s, der Erde wird’s gegeben.

 

Nicht Staubesbande hemmen geistig Streben;

Doch heilige und liebliche Gewalten

Im Gleichgewicht und fern der Willkür halten

Ihn, welcher ringt, zum Ewgen sich zu heben.

 

Der Geist auch hat sein Grundgesetz der Schwere:

Die Wahrheit und die Schönheit, jene Pole,

In die gebannt sind Kunst und Künstlerehre,

 

Und deren Kraft beschwingt des Dichters Sohle.

Wer maßlos schlürft den Trank der Lichtphiole,

Der stürzt betäubt gleich Ikarus in’s Leere.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Poesie

 

Vier Gärtnerinnen aus dem Garten Eden,

Des Geistes und der Sehnsucht Töchter, bitten

Ein Menschenherz um Obdach. Ihre Sitten

Nicht irdisch sind, viellieblich all ihr Reden.

 

Die Älteste, kaum sichtbar für Jedweden,

Doch wohnet gern in unsres Volkes Mitten

Und hat sein Leid, sein tiefstes mitgelitten,

Gehört sein Glück, entzündet seine Fehden.

 

Und zwischen Wald und abendrothen Wellen,

Und zwischen Dermaleinst und Heut und Gestern,

Wo Träume sich dem Wandrer still gesellen

 

Und laut die Nüchternen den Träumer lästern,

Dort öffnet sie der Ahnung Lebensquellen:

Er trinkt und schaut: sie selbst und ihre Schwestern.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Musik

 

Und was sich Wind und Meereswellen sagen

Und Cedern rauschen und Gebirge tönen,

Dies alte Wunderlied vom Heilig-Schönen

Musik, das ist der Athem deiner Klagen.

 

Im weichen Flügel deiner Kraft getragen,

Winkt die Heimath, uns, des Heimwehs Söhnen,

Dem Frieden lernt die Seele sich gewöhnen,

Lernt ruhig sein in unruhvollen Tagen.

 

Und wenn des Ave Feierlaut verklungen,

Wie küssest du der Mägdlein Lippenrosen,

Bis ihre Lieder, länger nicht bezwungen,

 

Die Lerche grüßen, mit den Lüften kosen

Und weihen dir des Kindes Huldigungen,

Dir, tief vertraut mit allen Erdenloosen.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Malerei

 

Der Pracht, die heute blüht und morgen bleichet,

Dem Farbenschmuck der lieblichen Gestalt,

Ihm leiht die dritte Schwester Allgewalt,

Daß nicht der Hauch des Todes ihn erreichet.

 

Ein süßes Lächeln, welches schnell entweichet,

Vergoßne Thränen, sonst vergessen bald,

Nun bannen sie, wenn längst die Herzen kalt,

Den fremden Blick, der spät darüber streichet.

 

Und ob Frau Iris siebenfarbig baut

Aus Nacht ins Licht die hochgeschwungne Brücke,

Hier ruft ein Mann, mit ihrer Kunst vertraut,

 

Des Lebens Schönheit aus dem Grab zurücke,

Und ernst verklärt die auferstandne schaut

Wie Mutterlieb herab zu unserm Glücke.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Des Bildners und des Baumeisters Kunst

 

Dem Orpheus, der die Unterwelt beschworen,

Dem Geiste füget wachsend sich der Stein,

Zu tragen in granitnen Melodein

Das Kreuz bis zu des Sternenhimmels Thoren,

 

Und was holdselig formenschön geboren,

Der Marmor trinkt sein Abbild tief hinein,

Dem weichen Schmelt will Härte dienstbar sein,

Die Kraft in ihr wird blühend neugeboren.

 

Und wo den Enkel schirmt sein Ahnenhaus,

Wo ein Palast von Freudenrufen zittert,

Wo Alter lehrt und Jugend strebt hinaus,

 

Wo Haupt und Herz vom Klosterbann umgittert:

Dort reden Steine, bis im Zeitgebraus

Ihr Spruch verhallt, ihr morscher Leib verwittert.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Auf Gebirgspfaden

 

Ein Wandrer bricht vom starrenden Gemäuer

Der Bergesgipfel, die im Schneelicht blitzen,

Die Alpenros’ und träumt von Gletscherspitzen,

Wenn er sie schaut beim winterlichen Feuer.

 

So thut der Dichter. Zwar nicht Abenteuer,

Zur Freiheit tragen über Wolkensitzen

Ihn Fittige. Wenn Andre Schweiß verspritzen,

Er zahlt sein Glück mit warmer Herzblutsteuer.

 

Und dann herab in’s Thal der Arbeit steigend,

Auch ihm sind Rosen, ihm ein Strauß verblieben:

Ein Liederbuch, dem stumpfen Ohre schweigend,

 

Dem Sonntagskind mit Klang und Gluth geschrieben,

Er selbst verspürt, das Haupt darüber neigend,

Den Heimwehzug, der ihn emporgetrieben.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ein Nachruf

 

Das Bächlein, welches niederwärts vom Borne

Durch Steine, Blumen, Adern vielgewunden

Zum breiten Strom hinab den Lauf gefunden,

Mit ihm vereint ergiebt sich seiner Norne.

 

O Lebenswelle, dir, wenn oft im Zorne

Ein böser Geist aufwacht in bösen Stunden,

Versiegt der Quell, der deiner Kraft verbunden,

Und flacher spülst du durch Gestrüpp und Dorne.

 

Und dennoch vorwärts! Wenn im Licht der Sonnen

Du reine Bahn und treu und tief sie zogest,

Herfluten dir in Zukunft neue Wonnen.

 

Du aber, Schwesterbrünnlein, Dich betrogest,

Seit Du vom Herzen Deines Stroms entronnen:

Nicht Ruh ist dort, wohin Du heute wogest.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ehrlich, nicht romantisch

 

Und ob dies Auge, diese blaue Seele,

An die ich einst dahingab all mein Alles,

Und ob dein Mund in Worten tauben Schalles

Den stillen Zauber alten Glücks verhehle,

 

Ob selber meinem Herzen ich befehle,

Streng, unberührt vom Spiel des Wiederhalles

Das Bild zu löschen jenes tiefen Falles:

Doch Aug in Auge zittert unsre Seele.

 

Es war ein Tag und dieser Tag wird bleiben,

Ein Blick, ein Wort, ein heißer Kuß, die brennen,

Daß Engel sie in’s ewge Schuldbuch schreiben.

 

Jetzt heischet Weltton, uns nicht mehr zu kennen,

Doch Heuchelei soll Buße nicht vertreiben:

Ihr Trost vereint, wen ihre Qualen trennen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Am Kamin

 

Hat mir’s geträumt? Aus loderndem Kamine,

An dem ich ruht’, hinabgetaucht in Schweigen,

Voll Leben sah ich zwei Gebilde steigen

Und grüßen mich mit kummerbleicher Miene.

 

Das Eine sprach: Geh hin fortan und diene

In Schweiß und Schmerz, bis wenig Lohn dein eigen,

Das andre dräut: Ich will die Stirn dir neigen,

Du Freier wähntest, daß ich nie erschiene.

 

Mein Herz gab Antwort: Nehmet nach Gebühren,

Arbeit und Sorge, Dank dieweil Ihr kamet!

Mich frohnen lasset, aber helfet schüren

 

Die Gluthen mir, drin Eigensucht erlahmet.

Und Harfen will zu Eurem Preis ich rühren:

Dem Geiste gebt Ihr, was dem Leib Ihr nahmet.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Biegend, aber nicht brechend

 

Gehobnen Hauptes, jung und stolz, getragen

Vom Schwanenflügel sehnsuchtsvoller Träume,

So aus dem Schatten meiner Heimathsbäume

Zog mich’s hinaus zu Kampf und Saitenschlagen.

 

Nun steh ich arm nach ruhelosem Wagen;

Denn Glanz und Glück zerrann wie gold’ne Schäume,

Und daß mein Herz in Trägheit nimmer säume,

Die Sorgen ihm am tiefsten Innern nagen.

 

Und doch kein Tag, da mein Geschick ich haßte!

Selbstmörderisch verzweifeln mag wohl Einer,

Der Gottvertraun und Lebensmuth verpraßte;

 

Wem dies geschah, fürwahr, der Mann ist keiner.

Ein Knabe oft Fortunas Locken faßte,

Doch wer entsagt, ist glücklicher, ist reiner.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ruhiger, aber reifer

 

Das ist die Lerche, die sonst Kraft geschmettert

Und Jubel mir in meines Herzens Falten,

Und ist der Mai, durch dessen Liebeswalten

Am Eichenstamm hinauf die Rose klettert.

 

Und drüber hin des Himmels Rede wettert

Und Wald und Wind die ernste Zwiesprach halten,

Vor deren Ton sich Kinderhände falten

Auf’s Bilderbuch, in welchem sie geblättert.

 

Des Mannes Herz, ob mitergriffen heute,

Doch spüret kaum der Adern rasches Feuer,

Den heißen Duft, das Frühlingsfestgeläute;

 

Ihm mehr denn Blüten Früchte wurden theuer:

Komm, Erntetag, dein Segen ihm bedeute

Ein stilles Glück und eine volle Scheuer.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Einem scheugewordenen Herzen

 

Ist’s denn unmöglich, von den nichtgen Dingen,

Die tausendfach uns Gram und Kampf bereiten,

Ist Dir’s unmöglich, wie in alten Zeiten

Zum Blick in’s Licht Dein Herz emporzuringen?

 

O, könntest Du’s! Dann, ruhend in den Schwingen

Des eignen Friedens, fern den Eitelkeiten

Der kleinen Selbstsucht, möchtest Du nicht streiten

Und hättest Muth, Dein bessres Theil zu bringen.

 

Glaub mir: Ein Sinn voll Hochmuth, eng und spröde

Dem fremden Ton, der anpocht, zugeschlossen,

Ihn dünket bald die eigne Heimath öde.

 

Doch glücklich er, den keine noch so schnöde

Mißlungne Form erschreckt, der nie verdrossen,

Bis er den Kern der Lebensfrucht genossen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Wann mein Stündlein schlug

 

Bist du es Lenz mit deiner Hoffnungslabe?

O komme nur, und wolltest du mir künden

Den Abschiedsduft aus Thal und Waldesgründen,

Weil deine Rosen blühen meinem Grabe:

 

Dann träumend noch griff ich zum Wanderstabe

Und, wie von Gott Verzeihung meiner Sünden,

Die Freunde bät ich, daß sie zu mir stünden

Mit allem Glück, das ich von ihnen habe.

 

Und Vielen dank ich, Vielen, deren Auge

Mich oft erquickt, gewarnt hat, oft verstanden,

Auch jenen Andern, wenn mit scharfer Lauge

 

Sie Thorheit beizten, die sie gerne fanden.

Du aber küß mich, Weibchen, daß ich sauge

Schon Himmelsthau in diesen Erdenlanden.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ostern

 

Gründonnerstag

 

Wie Christus vor Pilatus einst gestanden,

So steht er heut vor uns, des Tages Söhnen.

Wir hören Volk und Priester ihn verhöhnen

Und haben Macht, zu lösen ihm die Banden,

 

Zu preisen ihn als Herrn ob allen Landen,

Als unsrer Seele König ihn zu krönen,

Macht haben wir, der niedern Furcht zu fröhnen,

Zu kreuzigen ihn, den wir schuldlos fanden.

 

Er tritt vor uns: „Wer bin ich? Jetzt entscheidet,

Was Wahrheit ist?“ Wir müssen Antwort geben,

Der Tag brach an, der nimmer Halbheit leidet.

 

Ist dies ein Mensch, wie andre Menschen eben,

Nur würdiger, daß Ihr ihn purpurn kleidet?

Ist dies der Mensch, durch dessen Tod wir leben?

 

 

Charfreitag

 

Er hat das Haupt geneigt und ist verschieden,

Die Erde klagt in tiefen Finsternissen,

Doch mitten durch der Vorhang ist zerrissen:

Uns ruft das Allerheiligste zum Frieden.

 

Die Bundeslade, die wir scheu gemieden,

Weil ihr Gesetz wir unerfüllbar wissen,

Nicht dräut sie mehr, den Vater wir nicht missen,

Weil Christus nun den Richter sühnt hienieden.

 

Die Todten wandeln, auf die Gräber springen,

Begraben ist in diesen Tod des Sterben,

Und die wie sonst verzweifelnd grabwärts gingen,

 

Uns führt der Heiland, Leben zu erwerben.

Christ hat vollbracht! Wir sollen auch vollbringen:

Sein Kampf erlöst nur Kämpfer vom Verderben.

 

 

Erster Ostertag

 

Und früh am Sabbath, eh der Morgen graute,

Maria Magdalena ist gekommen

Und sieht den Stein vom Grabe fortgenommen

Und kennt nicht Jesum, den sie vor sich schaute.

 

Er spricht zu ihr: Maria! Diesem Laute,

Der ehedem sie heimrief zu den Frommen,

Aufwacht ihr Herz: Rabbuni! ruft’s beklommen,

Sie streckt die Hand aus, kaum dem Blick sie traute.

 

Der Heiland aber wehrt, ihn anzurühren

Und sendet sie, zu künden, was geschehen;

Wo Menschenfurcht verschlossen hält die Thüren,

 

Kleingläubige den Auferstandnen sehen.

Beladnes Herz, willst seine Nähe spüren,

Laß weinend uns zuvor zum Grabe gehen.

 

 

Zweiter Ostertag

 

Nach Emmaus der Jünger Zween sich wandten

Und da vom Wechsel dieser Leidenswochen,

Vom Tod, vom Einzug traurig sie gesprochen,

Naht ihnen Jesus. Ihre Herzen brannten,

 

Die Augen aber nicht den Herrn erkannten,

Bis er das Brod des Abendmahls gebrochen.

Jetzt wissen sie, warum die Pulse pochen:

Ihr Heiland ging mit seinen Abgesandten.

 

Es geht mit uns, wenn wir ihn Heiland nennen,

Mittragen tief sein bittres Leid auf Erden,

Er wandelt mit uns, bis wir ihn erkennen,

 

Ihn und zugleich den Segen der Beschwerden.

Der Tag sich neiget, unsre Herzen brennen:

Er bleibt bei uns! Nun mag es Abend werden.

 

 

 

Georg von Oertzen                Leider, leider!

 

Stehn nicht im Wald einträchtig Tann und Buche?

Und wenn der Wind die Wipfel rührt, dann singen

Gemeinsam sie und ihre Harfen klingen,

Als ob ein Liebestraum Erlösung suche.

 

Was aber treibt zum Hader und zum Fluche

Uns Andere, die frei sind, darzubringen

Den Geist im Wort und einig uns zu schwingen

Zur Einen Heimath überm Grabestuche?

 

Gieb Antwort, Selbstsucht! Du erregst mit Schauer

Fleisch wider Fleisch, wenn sich die Seelen lieben.

Dein Gift ist stark: Der Frieden hat nicht Dauer,

 

Bis wir durch Schuld zur Einsamkeit getrieben.

Ach, darum ist oft mancher Blick voll Trauer

Und oft ein Blatt im Herzen unbeschrieben.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Gott schickt’s

 

Wohl möchten wir in Noth geduldig werden,

Wohl um des Heiles willen Leid ertragen,

Bedächten wir, daß Wunden uns geschlagen

Durch Gottes Engel, wandelnd auf der Erden.

 

Wer nun uns kränkt in Worten, in Geberden,

Nach solchem Zufall warum mürrisch fragen?

Der blinde Eifer, Feinden nachzujagen,

In’s Fleisch nur drückt die Fessel der Beschwerden.

 

Nein, wie Verirrte ihre Schuld erzählen

Dem Führer, der dem Irrthum dann begegnet,

So, wenn Betrübte mit sich selber schmählen,

 

Aus ihren Thränen Wohltat auf sie regnet:

Denn wahrlich, hinter Menschen, die uns quälen,

Steht unser Heiland, der im Schmerz uns segnet.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Ein wirksamer Talisman

 

Die Zeit hat Macht, daß alles Glück sie stehle.

Wohlan: Von dem, was schmeichelt oder schmücket,

Was Freude bringt und Aug und Herz entzücket,

Nur Eins begehr ich, das mir niemals fehle:

 

Dich, Heiterkeit, du Sternenglanz der Seele!

Wie Himmelspracht, getrennt, doch nicht zerstücket,

In’s rechte Maß millionenfach gerücket,

So unserm Blick die Welt sich nie verhehle.

 

Sie lebt und webt nach ewigen Gesetzen,

Voll Freiheit Jedem und voll Heils für Alle.

Wer dem vertraut, den wird kein Zwiespalt hetzen

 

Durch Schmerz und Hohn, bis er in’s Chaos falle.

Er schreitet still, ob Dornen ihn zerfetzen:

Sein Glaube sagt, daß er zum Frieden walle.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Zwei wackere Genossen

 

Erst als ein Krauskopf lang und schmal sich streckend

Voll Ungeduld und Ungeschick in’s Hohe,

Dann Wurzel fassend und die halb noch rohe,

Doch volle Kraft zu schönern Formen weckend,

 

Allmälig selbst vor Stürmen nicht erschreckend,

Im Wetter stark erweiset sich der frohe,

Und, tödtet ihn des jähen Blitzes Lohe,

Dann dröhnt sein Fall, viel Tausende bedeckend:

 

So lebt ein Baum, so wird im edlen Manne

Dem Blüthenschmuck sich Mark der Weisheit gatten.

Ihm füllet Gott des Segens güldne Kanne

 

Und Keiner sieht den Rüstigen ermatten;

Er spendet Frucht und einst im Greisenbanne

Des stillen Herzens wundervolle Schatten.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Richard Rothe

 

Ein langes Leben, groß durch stille Thaten,

Ein reines Leben, wahr zum Licht gewendet,

Ein fruchtbar Leben, welches täglich spendet

Im kleinsten Thun der reichsten Liebe Saaten:

 

Ein solches ruht; hinsank der müde Spaten,

Der treu und tief die Schollen umgewendet,

Denn Richard Rothe hat in Gott vollendet

Die Pilgerfahrt, die stets von Gott berathen.

 

Wir hatten ihn. Wohlan, ihn noch zu haben,

Soll uns der Schmerz mit Freudigkeit begraben,

In unserm Herzen aufersteh der Todte.

 

Wo Wissenschaft durch Können Kraft bekundet,

Wo Liebe siegt und Wahrheit nie verwundet;

Dort lebt und wirkt ein Jünger Christi: Rothe.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Jedem seine Freiheit

 

Nicht zürnt dem Dichter, wenn im eignen Reime

Er schwer das Haupt und schwer die Seele wieget:

Die Biene thut es, welche mühsam flieget,

Betrunken heut vom künftgen Honigseime.

 

Wer aber malt die glühend tiefgeheime

Verzückung, die den spröden Stoff besieget?

Ob Ihr zum Gipfel der Erkenntnis stieget,

Ihr schautet nicht die Werdekraft der Keime.

 

Und darum Edle, würdig Wohlgelahrte,

Submissest steh ich: Gönnet solchen Thaten,

Drin Traum dem Leben zauberhaft sich paarte,

 

Den Liedern gönnt Freiheit, wie Euren Saaten.

Und, wenn sich dann ihr Stimmlein offenbarte:

Wen es erquickt, den lad ich mir zum Pathen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Hopfen und Malz verloren

 

Sie schalten Einen: Bücher mußt du lesen!

Dann hast du Stoffe, daß dein Geist bereite

Dir Brot und Schlaf; denn wirklich, Scherz bei Seite,

Dein Zeugnis lautet: Fleiß nie dagewesen.

 

Da sprach der Eine: Eurer Achtung Spesen

Zwar geben mir behagliches Geleite;

Doch, wenn mein Pilgern und mein Schaun in’s Weite,

Mein Suchen, Kämpfen, Leiden und Genesen,

 

Wenn was ich gab, was überreich genossen,

Dies Leben schön, doch wechselvoll wie keines,

Wenn dies nicht Arbeit, dann – seid nicht verdrossen! –

 

Dann ist mein Haupt gleichsam voll süßen Weines:

Die Reben hab mit Herzblut ich begossen,

Das Licht gab Gott mir, doch das Feld war meines.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Königin Phantasie

 

Fort vom Altar, den dies Jahrhundert bauet,

An welchem Stolz und Flachheit celebrieren,

Ruft eine wunderschöne Frau die Ihren,

Mit Pfaden in ein bessres Land vertrauet.

 

Ein Sonntagssohn der Fürstin Auge schauet,

Und taumelnd, wo Vernünftige studieren,

Das Herz ihn lehrt, niemals die Spur verlieren,

Auf ihn herab Weisheit aus Blüthen thauet:

 

„Greif zu, halt fest, was lieblich und was flüchtig,

Ob schöne Mägdlein, oder schöne Stunden,

Doch reinen Sinns zu reiner Freude tüchtig,

 

Und Leben bleibt Dir, wo Du Glück gefunden.“

Dies sein Gesetz. Ihr Herrn, nicht eifersüchtig!

Er ist ein Prinz vom Land der Vagabunden.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Tantalus

 

Die Locke schneeweiß und der Bart wie Linnen,

Auf freiem Feld den Sterbenden zu decken,

So trägt ein bleicher Wandersmann den Stecken

Durch Wald und Weiler, Strom und Meer von hinnen.

 

Sein Blick ist sanft, fremdartig sein Beginnen,

Die Hunde schmeichelnd seine Hände lecken

Und Kinder beide Arme nach ihm strecken,

Er liebkost sie und scheidet tief in Sinnen.

 

Denn ihm am Herde Sehnsucht hat gesessen,

Ein Dämon, dessen Ruf von Klagen heiser,

Und Meilen nimmer seine Schritte messen:

 

Glück suchet er, halb thöricht, halb ein Weiser,

Und findet endlich, findet – Selbstvergessen.

Da küßt ihn Friede, aber Tod noch leiser.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Juninacht

 

O Sommernacht, der Arbeit duftige Wiege,

Behütet wie mit Engelsschlummerliedern,

Du lockest von den sanftgestreckten Gliedern

Die stille Seele, daß sie heimwärts fliege.

 

Und holder Traum zu einem leichten Siege

Aus Sternenbahnen schwebet in die niedern

Und decket sie, als ob in Prachtgefiedern

Zur Ruh das Haupt ein müder Vogel schmiege.

 

Manchmal verräth Guitarrenklang und dort

Ein Uhrenschlag, ein zärtliches Gekore,

Ein durch die Gassen hergerufnes Wort,

 

Der Erde Schlaf nur flüchtig sei, nur lose.

Dann – st! kein Laut, bis Eos scheuchet fort

Vom Thurm des Sternlicht um die Kreuzesrose.